Es gab keine andere Option. Einhundertdreiundzwanzig Tage nach der Ernennung von Russell Martin zum neuen Cheftrainer des Vereins zog das neu formierte Rangers-Board den Stecker – das Ende seiner Amtszeit war besiegelt.
Das war nicht das, was der US-amerikanische Gesundheitsmagnat Andrew Cavenagh und die 49ers Enterprises im Sinn hatten, als sie Anfang des Jahres bei den Rangers das Ruder übernahmen. Ihr Amtsantritt sollte einen neuen Morgen im Ibrox-Stadion einläuten – nach Jahren, in denen man stets hinter Celtic zurückblieb. Doch derzeit liegt das Team neun Punkte hinter Celtic und elf Punkte hinter Tabellenführer Hearts. Das ist Rückschritt statt Fortschritt.
Das 1:1-Unentschieden gegen Falkirk am Sonntag war der sprichwörtliche Sargnagel. Das Ausbleiben eines Sieges und die chaotischen Szenen danach – Fans, die den Mannschaftsbus blockierten, während Martin unter Begleitschutz durch eine Seitentür fliehen musste – führten zu einer schnellen Entscheidung der Rangers-Führung, die sich noch in derselben Nacht zu einer Krisensitzung traf.
„Auch wenn Übergangsphasen Zeit brauchen, entsprechen die bisherigen Ergebnisse nicht den Erwartungen des Vereins.“
Das war der entscheidende Satz in der 79 Wörter langen Vereinsmitteilung, die um 21:40 Uhr veröffentlicht wurde und Martins Entlassung bestätigte. Nur fünf Siege in 17 Spielen, davon nur einer in der Premiership – Zahlen, die einem Verein von der Größe der Rangers nicht würdig sind.
Ehrlich gesagt hätten die Rangers schon früher handeln müssen. Erste Alarmzeichen gab es bereits in der Vorbereitung, als das Team gegen Club Brugge und Middlesbrough schwach aussah. Die Siege gegen Panathinaikos und Viktoria Plzeň in der Champions-League-Qualifikation verschafften Martin etwas Zeit – dank überragender Leistungen von Torhüter Jack Butland. Doch schon nach dem 1:1 am ersten Spieltag gegen Motherwell, als Martin öffentlich die „Egos“ einiger Führungsspieler kritisierte, war klar, dass es im Inneren brodelte. Und die 6:0-Blamage gegen Club Brugge war der Tiefpunkt, der selbst durch das torlose Unentschieden gegen Celtic nicht kaschiert werden konnte.
Nach der Länderspielpause folgte die wohl beschämendste Heimniederlage gegen Hearts, worauf die ohnehin skeptischen Fans endgültig den Rücktritt forderten. Dass das Rangers-Board damals nicht handelte, war fahrlässig. Drei Wochen gingen verloren – drei Wochen, in denen man zwar Hibs im Premier Sports Cup besiegte, aber in der Liga weiter Boden verlor.
„Kohlkopf“ Martin und der Fan-Zorn
Martins Spielstil – und sein Auftreten insgesamt – kam bei den Fans schlecht an. Manche nannten ihn spöttisch „Cabbage“ (Kohlkopf), weil er Veganer ist, und beschimpften ihn persönlich – inakzeptabel für jeden Menschen. Doch auch die Fans haben in dieser Episode kein gutes Bild abgegeben.
Heute Abend wird in Govan und darüber hinaus gefeiert. Der Streit mit Nico Raskin Ende August war ein Wendepunkt – er entfremdete die Anhänger und stellte Martins Führungsqualitäten infrage. So schwierig Raskin auch zu führen ist: Mit ihm ist Rangers zweifellos stärker.
Dabei hat der Klub massiv in den Kader investiert. Dreizehn Neuzugänge erhielt Martin – doch es gelang ihm nicht, daraus eine Einheit zu formen. Besonders bitter: Ausgerechnet jetzt wirkt Celtic verwundbar, und Hearts profitiert davon.
Martin trägt nicht die alleinige Schuld. Sportdirektor Kevin Thelwell muss sich für viele Transfers ebenso verantworten. Die Rangers suchten ihr Glück in den englischen Ligen, doch Spieler wie Max Aarons, Joe Rothwell und Thelo Aasgaard erwiesen sich als untauglich für das Ibrox-Niveau. Junge Leihspieler wie Jayden Meghoma und Mikey Moore sollten bei einem Klub dieser Größe gar nicht „entwickelt“ werden. Und wer acht Millionen Pfund ausgibt, sollte sie in einen fertigen Stürmer investieren – nicht in einen 21-jährigen Youssef Chermiti, der seit über zwei Jahren kein Ligator erzielt hat.
Das Versagen zieht sich durch alle Ebenen. Als die Fans am Donnerstag nach der 2:1-Niederlage gegen Sturm Graz in einem Hotel in Österreich Thelwell und Geschäftsführer Patrick Stewart lautstark zur Rede stellten, war klar: Die Luft war raus.
Martin verlässt den Verein als möglicherweise schlechtester Trainer der Rangers-Geschichte. Die meisten Fans verachteten ihn. Er sprach oft davon, dass es „Schmerz“ brauche, bevor es besser wird – doch diesen Luxus gibt es nicht, wenn man einen der größten Klubs Schottlands trainiert. Als ehemaliger Rangers-Spieler hätte er das wissen müssen.
Cavenaghs blindes Vertrauen
Cavenagh und seine Mitstreiter im Vorstand hielten zu lange an ihm fest. Nach nur vier Monaten steht ihre Entscheidung nun als Fehlgriff da – trotz angeblich „wochenlanger, intensiver Auswahlverfahren“.
Wer folgt nun auf Martin? Seine Assistenten Matt Gill und Mike Williamson sind ebenfalls weg. Es bleibt abzuwarten, wer interimistisch übernimmt. Die nächste Partie ist am 18. Oktober gegen Dundee United – genug Zeit für eine Neuaufstellung.
Hat Cavenagh vielleicht noch die Nummer von Barry Ferguson, der schon einmal als Übergangstrainer einsprang? Vielleicht hat Ferguson ihn inzwischen blockiert – aus Enttäuschung, dass er den Job nicht dauerhaft bekam. Ironischerweise hätte er es wohl besser gemacht als Martin.
Die Rangers stecken tief in der Krise. Platz acht in der Premiership, zwei Niederlagen in der Europa League – ein Verein im freien Fall. Die nächste Trainerwahl muss schnell, entschlossen und punktgenau sein. Martin war ein großer Teil des Problems. Jetzt liegt es an Cavenagh und Co., zu beweisen, dass sie die Lösung finden.